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Bodo Gaßmann

 

Neue Theologie aus kritischer Theorie?

Der Abgesang eines Denkers

 

Karl Heinz Haag: Metaphysik als rationale Weltauffassung, Ffm. 2005. 

(120 Seiten, Verlag Humanities Online)

  Haags Buch „Der Fortschritt in der Philosophie“ von 1983, jetzt neu erschienen, in der dieser Autor eine negative Ontologie entwickelt, haben die Erinnyen in ihrer ersten Nummer besprochen. Viele Reflexionen, die dort vorkommen, von Platon bis Thomas, werden in diesem neuen Buch bis in die wörtliche Formulierung hinein wiederholt. Der Autor begründet dies mit der gnoseologischen Nähe zu dem neuen Werk – es geht um die ontologische Fundierung der Universalien. Ich verweise deshalb auf unsere Rezension in „Erinnyen“ Nr. 1 (1985, S. 65 f.). In der vorliegenden Rezension soll es deshalb um die neuen Aspekte seiner negativen Ontologie gehen: ihre Umdeutung in eine negative Theologie. In diesem Zusammenhang enthält sein „kleines Buch“ eine Kritik der modernen Theologie.

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Kritik der modernen Theologie

 Nach seiner Kritik der philosophischen Entwicklung von Descartes zu Hegel, die er als „Sackgasse des Nihilismus“ in Bezug auf die metaphysischen Fragen ansieht - der Sündenfall ist für ihn der Nominalismus Ockhams -, wendet er sich der Sackgasse in der modernen Theologie zu, auf deren bedeutendsten Vertreter er sich beschränkt: von Bultmann bis Rahner. Dieses Kapitel ist mit Gewinn zu lesen, wenn man sich einen Überblick über wichtige Strömungen der modernen Theologie und ihre Widersprüche verschaffen will. Allerdings leidet diese Kritik der Theologie daran, dass sie lediglich Platz schaffen soll für seine eigene – wie ich zeigen werde – unhaltbare negative Theologie. Hier einige Kostproben von Haags Theologiekritik.

 Im Zeitalter der Entmythologisierung verwirft Bultmann jede Theologie, die „mythologisch“ von Gott ausgeht, vielmehr soll göttliche Offenbarung immer und ausschließlich sich an Individuen richten, die diese in „persönlicher Entscheidung“ (S. 65) anerkennen. Diese unwissenschaftliche und irrationale Theologie hat zur Folge, dass göttliche Existenz sich dem „Trotzdem“ und „Dennoch“ von sich  zum Glauben entscheidender Einzelner verdankt, aber nicht mehr rational einsehbar ist. Darin stecke selbst ein Stück „unerkannter Mythologie“, indem die menschliche Subjektivität zum „Götzen“ gemacht wird (S. 67). Bultmann folge „der Tradition des Nominalismus, dem es nicht auf das Wahre ankommt, sondern aufs Suggerieren einer für die Menschen passenden Weltanschauung.“ (S. 68)  Für Barth dagegen sollen statt der Akte des Glaubens die überlieferten Inhalte der Gotteslehre für den Christen wichtiger sein. Diese Offenbarungstheologie scheitert schon daran, dass sie nicht zur Evidenz zu bringen ist. Denn wer die Offenbarung nicht in sich „vernehmen“, d.h. durch volitive Autosuggestion, nachspüren kann, bleibt außen vor. Barths Konzept ist ein Rückfall in mythisches Denken. Die Theologie von Barth und Bultmann ist „Flucht ins Irrationale“, ein „Rückzug aus der Welt“ (S. 77) 

 Auch eine katholische Version, die im Festhalten am mittelalterlichen Weltbild besteht, kann sich nur durch Unterdrückung von Kritik behaupten und bestätigt dadurch die irrationale Trennung von Glauben und objektivem Wissen. Man denke nur an die bis ins 20. Jahrhundert hinein reichende Verdammung von Galilei. Doch auch die katholische Theologie ist vom Prozess der Entmystifizierung betroffen. Karl Rahner sieht im Selbstorganisationsprozess der Materie den „gewissermaßen geformten Geist“ Gottes (S. 80).  Dadurch wird es dieser Theologie möglich, die Erkenntnisse der modernen Naturwissenschaften zu akzeptieren und dennoch an einer Gottesvorstellung festzuhalten. Für Rahner schien sogar „eine stringente Erklärung evolutionären Geschehens durch Theologie“ möglich (S. 81). Das daraus entstehende Problem, wie ein grenzenloser Gott sich in Grenzen setzt, indem er sein immaterielles Sein in stoffliche Entitäten umformt, habe Rahner nicht erörtert. Das Resultat von Rahner wie auch von Teilhard de Chardin war eine „pantheistische, jedenfalls nicht mehr christlich zu nennende Ontologie“ (S. 83), die Anleihen bei Hegel macht. (Hegel kommt allerdings nur sehr pauschal zur Sprache, es ist eher eine Hegelkritik aus dem Philosophiegeschichtsbuch denn eine gründliche Auseinandersetzung. (Vgl. dagegen unsere Rezension von Bentsch in diesen Erinnyen.) 

 Auch die Gegenposition zu einem materialisierten Gott: Gott als reiner Geist (Origines), ist nicht haltbar, da folgen würde, „daß solche Transzendenz zu allem Veränderlichen nur im menschlichen Denken eine Stelle finden kann. Das – ungewollte – Ergebnis ist eine Limitation des Göttlichen auf das bloße Gegenteil der sinnlich wahrnehmbaren Dinge.“ (S. 84)  Der Dualismus von Geist und Materie in dieser Position wird in der Moral zum Antagonismus von göttlicher Seele und leiblicher Verdammnis. „Eine sorgfältige Analyse dieses Antagonismus muß unweigerlich zu der Erkenntnis führen, daß ein Gott, als intellectualis natura simplex gefaßt, nicht die Fülle des Seins darstellen kann, sondern aufgeht in der Affirmation eines abstrakten Gegensatzes zur kosmischen Mannigfaltigkeit.“ (S. 85)

 Haag kritisiert die modernen theologischen  Vorstellungen rein immanent. Er übersieht dabei, dass theologische Positionen immer auch an Karrieren, Pfründen, Professorenposten und einen klerikalen Beamtenapparat  gebunden sind, die auch  partikulare Bedürfnisse in die wissenschaftliche Theologie hineintragen, so dass die rationale Erörterung theologischer Fragen durch diese theologiefremden Bedürfnisse überlagert wird. Anderenfalls ist nicht erklärbar, warum stimmige theologiekritische Positionen aus der philosophischen Tradition immer wieder ignoriert wurden. Vor allem das „menschenfeindliche“ „anthropologische Axiom“ der „Verneinung der Sphären des Sinnlichen“ (S. 87) ist direkt mit der Macht der Kirche über die Gläubigen verbunden; denn wenn man die Sinnlichkeit der Menschen beherrscht, dann auch ihren Geist und ihren Willen. Haags rationale Quintessenz aus der immanenten Kritik der Sinnenfeindschaft der Theologie, „Seligkeit, die nicht der natura hominis widerspräche, erfährt die menschliche Seele nur gepaart mit sinnlichem Glück“ (S. 87), muss dann ein hilfloser Appell bleiben, falls aus Religion, dem Produkt der Theologie, überhaupt Seligkeit folgen kann.

 Doch auch Haags eigene Einsichten, die er kritisch gegen die vorherrschende Theologie richtet, werden dann im letzten Kapitel seines Buches, wo er seine eigene Theologie entwickelt, teilweise wieder über Bord geworfen. So seine Einsicht, dass mit dogmatischer Strenge gälte, es sei für menschliches endliches Denken unmöglich, „ins Innere der Gottheit einzudringen“ (S. 88). Dann kann man aber auch nicht wie Haag erklären, dass sein „Göttliches“ ein „gestaltendes Prinzip“ sei, das für „kosmische Prozesse“ konstitutiv bei der „Koordination der Gesetze“ wäre (S. 115).

  

Theologisierung des Ontologischen

 Haag erkennt zurecht: „Eine zusammenhanglose Mannigfaltigkeit reiner Singularitäten schlösse Gesetzmäßigkeiten und damit auch deren experimentelle Erforschung aus.“ (S. 100)  Er fordert deshalb Physik in einer Metaphysik zu fundieren. „Zwar wollen die physikalischen Wissenschaften keine Philosophie sein – aber sie sind auf ein philosophisches  Denken aufgespannt. Durch ihre Voraussetzung einer von sich aus erkennbaren Natur ist es ein metaphysisches Denken, das sie implizieren, keine nominalistische Weltauffassung. Sie sind objektiv nur möglich auf der Basis einer Ontologie: unterstellt ist die Notwendigkeit einer Natur, die vermöge ihres rationalen Aufbaus physikalischer Forschung zugänglich ist. Eine rational aufgebaute Natur aber weist zurück auf ein gestaltendes Prinzip: das Walten einer ‚allmächtigen Vernunft’.“ (S. 100) Dieser Begriff der „allmächtigen Vernunft“ von Max Planck wird von Haag näher bestimmt als „Göttliches“.

 Da es in der organischen Natur teleologische Prozesse gibt, die nicht aus der Summe der bei ihnen beteiligten „partikulären“ Naturgesetze erklärbar seien, müsse man ein metaphysisches Telos annehmen. Dieser teleologische Prozess in der organischen Natur wird nun von Karl Heinz Haag umstandslos auf den gesamten Kosmos übertragen und der Grund des Telos in einem Göttlichen fundiert. Hatte Haag noch in seinem Fortschrittsbuch von 1983 behauptet: „Nur Zuwachs an Komplexität ist physikalisch feststellbar – kein spezifisches Ziel“ (1983, S. 173)  So wird daraus in dem hier rezensierten Werk für die Physik die „unbezweifelbare Finalität im kosmischen Zusammenwirken der Naturgesetze“ (S. 101). Diese Übersteigerung von physischen Erkenntnissen ist das eigentlich Neue in seinem neuen Buch. „Bezogen auf ein Telos kann ein Prozesse steuerndes Prinzip nur sein, wenn es das Ziel virtuell in sich enthält. Insofern muß jenes Prinzip mehr besagen als die Summe der Gesetze, die es auf ein bestimmtes Telos hin koordiniert. Es gehört – ontologisch – einer anderen Dimension an: dem für menschliches Erkennen begrifflich nicht faßbaren Bereich des transzendenten Ursprungs von Welt. Der tastende Schritt in diesen Bereich, den Bereich des Göttlichen als die Dimension des Metaphysischen im strengsten Sinne, hat seine Basis in Physik: in der auch für sie unbezweifelbaren Finalität im kosmischen Zusammenwirken der Naturgesetze.“ (S. 100 f.)

 Weder geht die Naturwissenschaft sicher von einem Ursprung der Welt aus noch ist die Finalität im Kosmischen „unbezweifelbar“. Finalität und Ursprung der Welt lassen sich nicht empirisch erfahren, sondern sind Bestimmungen des Verstandes und der Vernunft, mit deren Hilfe das empirisch Gegebene interpretiert wird. Deutet man solche Denkbestimmungen zu ontologischen oder kosmologischen um, dann ist das eine Hypostase des Denkens. Gegen eine solche Hypostase von Bestimmungen der Vernunft zu ontologischen hatte sich schon Kant gewehrt. Nur das kann Gegenstand für uns sein, das auf der Möglichkeit der Erfahrung beruht. Für Haag sind dies die physikalischen Gesetze. Aber er leitet aus diesen letztlich auf Erfahrung (Experiment) fußenden Gesetze der Erscheinungen wieder ontologische Bestimmungen ab – oder wie Kant sagt: „ein transzendentales Prinzip der Möglichkeit der Dinge überhaupt“ (Kr.d.r.V., B 610). Dieser Schluss soll zwar nur zu einer negativen Ontologie führen, insofern kann sich Haag sogar auf Kant berufen, aber unter der Hand oder auch gewollt wird aus der negativen Ontologie Kants (das zugrunde liegende aber unbestimmbare Substrat teleologischer Prozesse) bei Haag eine Totalisierung von Partikularen und daraus dann eine positive Ontologie in Gestalt des „Göttlichen“. Zwar geht Haag zunächst nicht so weit, das Göttliche zu personifizieren, und seine Theologie ist nur eine negative, das heißt, er sagt, dass es ein Göttliches gäbe, aber dass wir es prinzipiell nicht bestimmen könnten, aber der Schritt von einer negativen Ontologie zu einer negativen Theologie ist nicht akzeptabel.

 Alle unsere Erkenntnisse gehen aus der sinnlichen Erfahrung hervor oder sind doch als Denkbestimmungen auf diese bezogen. Aus Ideen, aus reinen Vernunftbegriffen, auf etwas zu schließen, was aus keiner Erfahrung hervorgeht und keine Gegenstände, die aus Erfahrung sind, gedanklich organisiert, wie ein „Göttliches“, sind eine Überhebung der menschlichen Vernunft, eine Subreption. Lediglich zum Gedanken der Einheit der Welt kann menschliche Vernunft gelangen. Diese Einheit der Welt ist nach Kant eine regulative Idee, die jeder Naturwissenschaftler seiner Forschung zu Grunde legt, ein Ideal der Vernunft. Erst die objektivierten Naturerkenntnisse, die auf Grund der Hypothese von der Einheit der Welt gewonnen wurden, belegen diese Idee von der Einheit der Welt, soweit diese konkreten Erkenntnisse reichen. Doch jede naturwissenschaftliche Erkenntnis erklärt immer nur Partikulares, wie Haag immer wieder zurecht betont. Daraus folgt, dass die Einheit der Welt sich nicht in ihrer Totalität beweisen lässt, dieses Ideal der Vernunft ist bloß eine gedankliche Anleitung zum Forschen, die Hypothese, das partikulare Erkenntnisse miteinander übereinstimmen müssen, wenn sie wahr sein sollen; und die Hypothese, dass ein erkanntes Gesetz im ganzen unserer Beobachtung zugänglichen Kosmos mit Notwendigkeit gilt. Kant sagt über dieses Ideal:

 „Da es also nicht einmal als denkbarer Gegenstand gegeben ist, so ist es auch nicht als ein solcher unerforschlich; vielmehr muß er, als bloße Idee, in der Natur der Vernunft seinen Sitz und seine Auflösung finden, und also erforscht werden können; denn eben darin besteht Vernunft, daß wir von allen unseren Begriffen, Meinungen und Behauptungen, es sei aus objektiven, oder, wenn sie ein bloßer Schein sind, aus subjektiven Gründen Rechenschaft geben können.“ (Kr.d.r.V. B 642) 

  

1.      Ein notwendig anzunehmendes immanentes Telos soll die partikularen Naturgesetze (die nur isolierte Prozesse in der Natur erklären) ontologisch auf ein Totum hin koordinieren. Dadurch wird dieser Prozess, der bestenfalls bei Lebensvorgängen unterstellt werden kann, noch lange keiner der Totalität der Welt. Der Schluss von einer partikularen Naturerklärung, wenn er denn eine Erklärung ist, auf die Totalität der Welt, ist nach Kants „Kritik der reinen Vernunft“, die Haag kennt, nicht nur ein Fehlschluss, sondern offenbar ein Trugschluss.

2.      Das ontologische Substrat von konstatierbaren Naturvorgängen und den in ihnen wirkenden Naturgesetzen ist nur negativ bestimmbar. Als negativ Ontologisches hat das „intelligible Substrat“ (das Analogon zu unserem Verstand in der extramentalen Natur) den Widerspruch an sich, „durch das Bewßtsein begründet und in ihm zu sein, zugleich aber nur in den Dingen außerhalb des Bewußtseins und unbegreifbar zu sein“ (Erinnyen Nr. 1, S. 66). Aus einem nur widersprüchlich Denkbaren, selbst wenn es zwingend anzunehmen wäre, positiv auf ein Göttliches oder gar auf einen Gott, der nur als personaler denkbar ist, zu schließen, ist ebenfalls ein Trugschluss.

3.      Wie im kosmologischen Gottesbeweis so setzt auch dieser Beweisschluss von Naturvorgängen auf ein Göttliches/Gott bereits den Begriff eines „Göttlichen“ voraus. Dieser Begriff kann nicht aus den Naturvorgängen selbst kommen, sondern den bringt der Deutende immer schon mit. (Vgl. Kant Kr.d.r.V., B 631 ff.) So läuft der kosmologische (wie der physikotheologische und teleologische) immer schon auf den ontologischen Gottesbeweis hinaus. Dieser setzt einen Universalienrealismus voraus, den Haag doch mit seiner negativen Ontologie bestenfalls erst begründen will, den er also nicht voraussetzen kann. In seinem Buch begründet er seine Gottesvorstellung auch nicht mit dem ontologischen Gottesbeweis, sondern geht von physikalischen Prozessen aus (S.114 und passim). Sein vorausgesetzter Gottesbegriff kommt also aus der theologischen Tradition, die er in dem Kapitel über moderne Theologie vernichtend kritisiert hat.

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Von der negativen zur positiven Theologie

 Negative Theologie heißt bei Haag: „Kritisch denkend muß menschlicher Geist auf inhaltliche Aussagen über das Sein und Wirken der Gottheit prinzipiell verzichten.“ (S. 111)  Das hält Haag aber nicht davon ab, bereits im folgenden Satz inhaltlich Bestimmtes vom Wirken der Gottheit zu wissen. „Von den Zielen ihres schöpferischen Tuns hängt es ab, welche Naturgesetze die jeweils erforderlichen Mittel zur Hervorbringung und Erhaltung stofflicher Entitäten sind.“ Diese Zielerkenntnis steigert Haag bis hin zur These der Determiniertheit der Welt. „Weil diese Ziele unerforschlich sind für menschlichen Geist, gibt es für ihn im Prozeß der Weltgenese unvorhersehbare Ereignisse. Solche Ereignisse sind insofern keine, die an sich selber unvorhersehbar oder – mathematisch formuliert – unberechenbar wären. Ereignisse, denen an sich selber Unerrechenbarkeit zukäme, wären Ereignisse ohne Gesetzlichkeit – ein völlig chaotisches Geschehen. Wird das in aller Schärfe erkannt, so verliert der Zufall jede Bedeutung für luzide Kosmologie. Er verflüchtet sich, selbst für Hume, in ‚ein Wort ohne Sinn’.“ (S. 112)  Also wir stellen Zufälle fest, aber es gibt keine Zufälle, denn dann wäre die Welt ein Chaos. Haag muss die Determiniertheit der Welt annehmen und den Zufall leugnen, um dem Kantschen Vorwurf gegen den physikotheologischen bzw. teleologischen Gottesbeweis zu entgehen, vom Partikularen und damit Zufälligen auf das Ganze der Welt und seinen Gott als notwendige Ursache zu schließen (vgl. Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 657)  Nur wenn die Welt als determinierte teleologisch bestimmt ist, lässt sich das kantische intelligible Substrat zum Welturheber und Gott aufspreizen.

  In der behaupteten Determination der Welt liegt auch der Widerspruch, dass diese These immer schon das rechtfertigt, was ist. Dieser aus seiner Determination der Welt folgende Positivismus widerspricht aber Haags Kritik an der Struktur der kapitalistischen Wirklichkeit.

 

Negative Theologie wird zum metaphysischen Sinn

 An der heute vorherrschenden Theologie, unter anderem der von Ratzinger, kritisiert Haag ihre „paradoxe Glaubenslehre“ (S. 115), die etwas Absolutes auf Unbeweisbarem aufbauen will. „von der menschlichen Ratio in Ungewißheit gelassen, ob ein Gott überhaupt existiert, wäre solcher Glaube vor allem Gelegenheit zu beweisen, wie kühn theologische Denker sind: wie sehr sie ‚Abenteuer’ des Geistes lieben (so Ratzinger). Das impliziert: Gott ist nicht mehr der Allmächtige, sondern der Mensch ist es in seinem Belieben. Gegen die Pluralität des profanen Angebots von Sinn deklariert er Gott als den Sinn seines Lebens.“ (S. 114)  Deshalb werden die konkreten Ausgestaltungen der Religiosität in den positiven Religionen untergehen. „Die religiösen Bekenntnisse werden der Entmythologisierung verfallen – durch eine ebenso unaufhaltsame wie universale Ausbreitung der physikalischen Weltvorstellungen.“ (S. 117)

 Da aber das Bedürfnis des „menschlichen Strebens nach Nicht-Relativem“, nach „Weltanschauung“, die „Sehnsucht“ nach einer „objektiven Grundlage“ der Theologie weiter besteht und nach Haag berechtigt ist, will er eine neue Theologie auf physikalischer Grundlage begründen, wobei sich das Physikalische auf die Naturwissenschaften insgesamt bezieht. „Eine Theologie, die vor kritischem Denken bestehen will, braucht eine rationale Grundlage. Zumindest eines muß für sie gewiß sein: daß es einen Gott gibt. Diese Gewißheit ist erreichbar – in logischer Strenge jedoch nur auf dem steilen Pfad zu der physikalisches Wissen transzendierenden Erkenntnis, daß kosmische Prozesse ein gestaltendes Prinzip voraussetzen: eine allmächtige Vernunft, die konstitutiv ist für die Auswahl und Koordination der Gesetze, die in jenen Prozessen wirksam sind. Das hat moderne Theologie, sofern sie mehr sein will als eine paradoxe Glaubenslehre, zu erkennen und fruchtbar zu machen für eschatologische Überlegungen. Ihr Denken muß getragen sein von der Einsicht, daß kein natürliches Gebilde aufgeht in dem szientifisch an ihm Faßbaren: ein jedes vielmehr über sich hinausweist auf göttliches Sein und Wirken.“ (S. 115) 

 Das Fiese an diesem Buch von Karl Heinz Haag ist der Übergang vom „steilen Pfad“ der Reflexion der philosophischen Entwicklung, welche die Problemstellung von Wesen und Erscheinung reflektiert, zur platten Behauptung, „dass es einen Gott gibt“ (S. 115). Allen Sinnbedürfnissen der kapitalistischen Gesellschaft, alle ideologischen und mythologischen Verschleierungen, die es gar nicht gäbe, wenn keine Klassengesellschaft existierte, wird damit durch Haag eine metaphysische Grundlage geliefert. Auch wenn er gegen seiner Meinung nach rational unzulängliche Sinndeutungen auftritt, endet er doch selbst wieder theologisch. Sein steiler Pfad ist einer nach unten: Von den Unzulänglichkeiten der traditionellen Metaphysik zum intelligiblen Substrat, zum ontologischen Grund, zur allmächtigen Vernunft, zur göttlichen Vernunft, zum Göttlichen, zu Gott. Es scheint so, als wolle er seinen kritisch denkenden Leser, den er immer wieder unterstellt, mitnehmen auf diesen Pfad abwärts zum Irrationalismus  und ihn dem konservativen Lager der Kirchen zuführen.

 

Vermutungen über die Gründe für die Apologie des Göttlichen

 Die Gründe für die Rückkehr Karl Heinz Haags zur positiven Theologie sind rätselhaft. Überzeugende Gründe finden sich in seinem Werkchen nicht. Selbst gegen  Kants Gedanken, dass ein „intelligibles Substrat“ anzunehmen sei, hätte die moderne Biologie einiges zu sagen. Und so ist der Rezensent auf Vermutungen angewiesen: Hat die jahrzehntelange Beschäftigung mit theologischen Fragen suggestiv auf Haag gewirkt, so dass er annimmt, die Sehnsucht nach metaphysischer Heimat befreie ihn von der transzendentalen Heimatlosigkeit? Ist es die Berufsdeformation eines Philosophieprofessors, der sein Werk im späten Alter noch einmal umwerfen will? Oder ist der isolierte Intellektuelle und Privatgelehrte – sozusagen auf kritische Art und Weise – in den Schoß der Kirche zurückgekehrt? Vielleicht folgt er nur dem konservativen Trend und will seine Anhänger aus der Kritischen Theorie dem theologischen Lager zuführen? Würde Georg Lukács hier argumentieren, er würde die ideologische Funktion hervorheben: Wenn die Welt durch göttliche Vernunft determiniert ist, dann ist auch der Kapitalismus gerechtfertigt, solange er besteht.

 Oder andersherum, in der sinnlosen kapitalistischen Produktion um der Produktion willen möchte Haag „zu einem sinnvollen Dasein“ kommen, das aber geht für ihn nur mit einer göttlichen Instanz: „das Bewußtsein von der Existenz einer absoluten Wahrheit“ (S. 116). Da sich aber das Göttliche nicht begründen lässt, zerstört solch eine Scheinkonstruktion mehr diesen Sinn, als dass sie ihn schafft.

 Oder ist es vielleicht ganz anders, viel banaler: Der Autor ist über achtzig Jahre alt. Das Ende des Lebens im Angesicht sucht er Trost, wenn auch auf hohem philosophischen Niveau, in der Vorsehung Gottes. Die Gründe bleiben letztlich rätselhaft, gewiss ist nur eines: sic transit gloria philosophi.

 

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Stand: 07. Juni 2006