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  11.  Die Begründung von Kulturwerten 

       bei Rickert

 

Da die Werte sich in der Geschichte zeigen sollen, begründet Rickert sie aus ihrer Erscheinung in der Geschichte. Die Bedingung der Möglichkeit, angeblich in der Historie sich zeigende Werte selbst wieder zu bewerten, hat „absolute Werte“ zur Voraussetzung. Im wertenden Subjekt muss die Geltung absoluter Werte vorausgesetzt werden, soll nicht diese Wertung der Werte selbst wieder bloß willkürlich und historisch bedingt und damit historisch zufällig sein. Das heißt, dass die selbst wieder bedingten Werte als Maßstab für historische  oder empirisch konstatierbare Werte nicht objektiv gelten würden. Es sind also zwingend absolute, d.h. unbedingte, Werte notwendig, wenn die subjektbezogene  Werttheorie Rickerts wissenschaftlich sein soll, d.h. der Wertung notwendig allgemeine Geltung zukommen soll. Wie aber lassen sich absolute Werte in den Kulturwissenschaften begründen? 

 Eine philosophische Begründung aus „bloßen Begriffen“ ist nicht möglich, da für Rickert Begriffe nominalistisch eine bloß willkürliche Kombination von Merkmalen sind, „terminologische Festsetzungen überhaupt jenseits von wahr und falsch liegen“  (Rickert: Kulturwissenschaft, S. 61). Eine Festlegung von Werten, die sich nicht in psychologischen Erlebnismaterial zeigen, ist also bloß terminologisch. Soll ein Wertbegriff objektiv gelten, muss sich dies selbst in der Historie zeigen. Für ein System von Kulturwerten gilt: „Freilich ist keine Philosophie imstande, ein solches System aus bloßen Begriffen zu konstruieren. Sie bedarf vielmehr für seine inhaltliche Bestimmung der engsten Fühlung mit den geschichtlichen Kulturwissenschaften selbst, und sie kann nur hoffen, sich im Historischen dem Ueberhistorischen anzunähern, d.h. ein System der Kulturwerte, das auf Geltung Anspruch erhebt, kann nur an dem geschichtlichen Leben gefunden und aus ihm allmählich herausgearbeitet werden, indem man die Frage stellt, welche allgemeinen und formalen Werte der inhaltlichen und fortwährend wechselnden Mannigfaltigkeit des historischen Kulturlebens zugrunde liegen, und worin also die Wertvoraussetzungen der Kultur überhaupt bestehen, die zu erhalten und zu fördern wir alle bemüht sind.“ (Kulturwissenschaft, S. 162)  

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 In seiner Schrift „Die Probleme der Geschichtsphilosophie“ (1924) verlangt er von einer Wertwissenschaft zumindest formale Werte, die absolut gelten, um aus der Geschichte inhaltliche Werte zu erschließen. „Die Philosophie braucht als kritische und systematische Wertwissenschaft keinen inhaltlich bestimmten absoluten Wert als Maßstab vorauszusetzen. Gelingt es auch nur, einen rein formalen unbedingten Wert zu gewinnen, so kann dann der ganze Inhalt des Wertsystems dem geschichtlichen Leben entnommen werden, obwohl dieses seinem Begriff nach unsystematisch ist. Ja, die Geschichtsphilosophie, welche nach dem Sinne der Geschichte fragt, wird sich rein formaler Weltprinzipien bedienen müssen, gerade weil diese Prinzipien geeignet sein sollen, für alles geschichtliche Leben zu gelten.“ (Rickert: Geschichtsphilosophie, S. 119)  Formale Werte wie etwa „Widerspruchsfreiheit“ oder „Wahrheit“ reichen aber nicht aus, um sicher aus der Geschichte inhaltlich bestimmte Werte zu erschließen, weil sich sowohl das eine inhaltliche Wertesystem wie sein kontradiktorisches Gegenteil jeweils widerspruchslos erschließen ließe (ein Argument, das schon Hegel gegen Kants bloß formale Variante des kategorischen Imperativs, die Verallgemeinerungsregel, vorgebracht hat). Die Aporie der Wertphilosophie, absolute Werte bei der historischen Wertanalyse vorauszusetzen, die doch nur durch diese Analyse erschlossen werden können, ist damit nicht gelöst.

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12.  Kritik der Begründung von Kulturwerten

 Man sieht, die Argumentation dreht sich im Kreis. Die Gegenstände der Kultur enthalten objektiv konstatierbare Werte, deren Bewertung absolute Werte voraussetzen, die wiederum aus den objektiv konstatierbaren Werten gebildet oder gefunden werden sollen. Die Werte werten sich selbst und das Wort „absolut“ ist nur ein schmückendes Beiwort. Geschichtlich unzulängliche Werte lassen absolute Werte erscheinen, die wiederum die geschichtliche Unzulänglichkeit erkennen lassen.

 Gesteht man Rickert zu, dass ein Werten notwendigerweise zu den Kulturwissenschaften gehört, dann ergibt sich nach seiner „Wissenschaftstheorie“ als Transzendentalphilosophie nur eine transzendentale Begründung absoluter Werte. Den Kulturobjektivationen in der Geschichte haften Werte an, die konstitutiv für die individualisierende Darstellung der Kulturobjektivationen sind. Soll diese Darstellung wissenschaftlich sein, hat sie zur Bedingung ihrer Möglichkeit absolute Werte. Die Begründung der Möglichkeit, historische Werte zu bewerten, ist aber nur eine Begründung, dass in dieser Konstruktion überhaupt absolute Werte notwendig sind, nicht aber, was diese absoluten Werte konkret beinhalten. Soll aus den mannigfaltig vorkommenden historischen Werten dieser oder jener zum absoluten Wert erklärt oder aus unzulänglichen Werten absolute Werte erschlossen  werden, weil man sonst nicht Werte bewerten kann, dann muss noch eine zusätzliche Begründung angeführt werden, die zwingend diesen Wert und keinen anderen zum Überhistorischen und absoluten macht. 

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 Die inhaltliche Begründung von absoluten Werten, die sich in der Geschichte zeigen, kann entweder eine subjektive Setzung sein,  oder es lässt sich ein Kriterium der Auswahl anführen, die bloß historische Werte von absoluten Werten, die sich in der Geschichte zeigen, unterscheidet. Entweder sind dann absolute Werte eine willkürlich Behauptung, sich aus der Geschichte das herauszuholen, was den willkürlich setzenden Bewusstsein in den Kram passt; und dies Bewusstsein ist das ideologisch vorherrschende Bewusstsein, dem gegen eine materialistische Auffassung von Geschichte und Fortschritt nur Polemik und Verfälschung einfällt (vgl. u.a. Rickert: Geschichtsphilosophie, S. 115 mit Kapitel 19). Oder ein wertsetzendes Bewusstsein bedürfte wiederum einen „über-absoluten Wert“ als Auswahlkriterium für die in der Geschichte auftauchenden „Werte“, die zum absoluten Wert erklärt werden sollen. Ein solches Kriterium, soll es mit Notwendigkeit gelten, müsste dieser über-absoluter Wert sein. Gäbe es einen solchen „über-absoluten Wert“ – ein irrationaler Begriff, der sich selbst widersprechen würde, da absolut bedingungslos heißt, also keine Steigerung erlaubt -, so könnte dieser auch nur aus dem absoluten Werten erschlossen sein, was wiederum einen „über-über-absoluten Wert als Auswahlkriterium für den über-absoluten Wert voraussetzt, soll diese Begründung nicht wiederum willkürlich sein, usw. Ein solches Begründungsverfahren läuft auf einen regressus ad infinitum hinaus, der nichts begründet, weil er von endlichen Subjekten nicht durchgeführt werden kann.

 Rickert hütet sich einen solchen Regressus einzugehen, aber um den Preis, dass er letztlich den Zirkel der Begründung nur durchschlagen kann, indem er auf die unmittelbare Einsicht des Kulturmenschen (Kulturwissenschaft, S. 97) vertraut. Einer solchen „Einsicht“ des bürgerlichen Denkers Rickert kann man aber bestenfalls „glauben“. „Mit Rücksicht auf die empirische Objektivität der Kulturwissenschaften genügt die Erinnerung: an objektive Werte, deren Geltung die Voraussetzung für das Streben der Philosophie ebenso wie für die Arbeit in den Kulturwissenschaften selbst bildet, glauben wir im Grunde alle, auch wenn wir uns vielleicht unter dem Einfluß der wissenschaftlichen Mode einbilden, es nicht zu tun.“ (Kulturwissenschaft, S. 162 f.)  Da die Schwärmerei des Glaubens zweitliebstes Kind ist, darf eine solche nicht fehlen. Er zitiert deshalb die „schönen Worte“ seines Kollegen Riehl, die dieser gegen Nietzsche vorbringt. „’Ohne ein Ideal über sich zu haben, kann der Mensch im geistigen Sinne des Wortes nicht aufrecht gehen’. Die Werte aber, aus denen dieses Ideal besteht, ‚werden entdeckt und gleich wie die Sterne am Himmel treten sie nach und nach mit dem Fortschritte der Kultur in den Gesichtskreis des Menschen. Es sind nicht alte Werte, nicht neue Werte, es sind die Werte’.“ (Kulturwissenschaft, S. 163)  

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 Dies lässt ein deutscher Philosoph 1915 in Deutschland drucken, als Hunderttausende an den Fronten des Ersten Weltkrieges krepieren. Hatte der Rickert-Schüler Ernst Bloch sich wenigstens noch in die Ideale des utopischen Denkens geflüchtet, sein „Geist der Utopie“ ist ein Gegenentwurf zur Geschichte, so begründet Rickert aus der gleichen Geschichte, die den Massenmord des Ersten Weltkrieges hervorbringt, seine idealen Werte als geltend,  u.a. durch das „Erlebnis“. „Der Historiker sucht daher die Vergangenheit in ihrer Individualität uns anschaulich wieder zu vergegenwärtigen, und das kann er nur dadurch tun, daß er es uns ermöglicht, das einmalige Geschehen in seinem individuellen Verlauf gewissermaßen nachzuerleben.“ (a.a.O., S. 79, Hervorhebungen von Rickert)  Das Rickertsche Begründungsverfahren für seine Kulturwerte führt zwangsläufig zur Produktion von Ideologemen. Was der Historiker „nacherlebt“ und in was er sich einfühlt, ist immer die Heteronomie – und das sind bis heute allemal die Herrschenden, die u.a. den Ersten Weltkrieg als Griff nach der Weltmacht inszenierten.

 Auf die Frage, in wen sich der Geschichtsschreiber eigentlich einfühlt, sagt Walter Benjamin: „Die Antwort lautet unweigerlich in den Sieger. Die jeweils Herrschenden sind aber die Erben aller, die je gesiegt haben. Die Einfühlung in den Sieger kommt demnach den jeweils Herrschenden allemal zugut. (...) Wer immer bis zu diesem Tage den Sieg davontrug, der marschiert mit in dem Triumpfzug, der die heute Herrschenden über die dahinführt, die heute am Boden liegen. Die Beute wird, wie das immer so üblich war, im Triumphzug mitgeführt. Man bezeichnet sie als Kulturgüter. Sie werden im historischen Materialisten mit einem distanzierten Betrachter zu rechnen haben. Denn was er an Kulturgütern überblickt, das ist ihm samt und sonders von einer Abkunft, die er nicht ohne Grauen bedenken kann. Es dankt sein Dasein nicht nur der Mühe der großen Genien, die es geschaffen haben, sondern auch der namenlosen Fron ihrer Zeitgenossen. Es ist niemals ein Dokument der Kultur, ohne zugleich ein solches der Barbarei zu sein. Und wie es selbst nicht frei ist von Barbarei, so ist es auch der Prozeß der Überlieferung nicht, in der es von dem einen an den andern gefallen ist.“ (Benjamin: Begriff der Geschichte, S. 696)

     Die Inkommensurabilität der Wertsphären

 Nach Rickert gibt es theoretische, ästhetische, kulturelle, religiöse, ethische und individuelle Werte. Sie müssten in einem System, auch wenn es als „offenes System“ (vgl. Geschichtsphilosophie, S. 119) gedacht ist, klassifiziert, in eine Ordnung und Rangfolge gebracht werden, denn sonst könnten sie sich widersprechen und dadurch jede objektive Wertung zunichte machen. „In der Philosophie als Wissenschaft vom Ganzen der Welt kommt alles auf den Zusammenhang des Systems an, in dem die Resultate des Nachdenkens sich darbieten.“ (Rickert: System, S. VII)  „Jedes unsystematische Denken bleibt daher notwendig partikular.“ (A.a.O.)  Allein aus partikularen Urteilen ist keine Wissenschaft möglich, weil partikulare Urteile sich widersprechen können. Erst notwendig geltende universale Urteile machen widerspruchsfreies Denken möglich. „Nur durch das Streben nach systematischer Vollständigkeit gewinnen wir in der wissenschaftlichen Philosophie die Weite des Gesichtskreises, die für das Nachdenken über die Welt in ihrer Totalität nicht entbehrt werden kann.” (A.a.O.)  Die objektive Wertung auf Grund von absolut geltenden Werten ist aber intendiert von der neukantischen Wertphilosophie. Rickert spricht in diesem Zusammenhang von „einheitlicher Deutung des Lebenssinnes“ (Rickert: Aufsatz, S. 77). 

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 Da die absoluten Werte als ahistorische Prämissen des Historischen gleichwohl aus dem Historischen erschlossen sein sollen, müsste bei der Vielfalt an Wertarten ein „Selektionsprinzip“ für diese Werte vorhandeln sein, wie Oakes zu recht feststellt. „Ein derartiges Prinzip wäre gleichsam die Meßlatte, mit deren Hilfe wir die empirisch vorfindbaren Kulturwerte hinsichtlich ihrer Objektivität in eine Rangfolge bringen könnten. Hieraus folgt, daß ein Selektionsprinzip für Werte deren Kommensurabilität voraussetzt. Werte lassen sich dann miteinander vergleichen, wenn ihre Geltung auf ein und derselben Grundlage fußt. Gäbe es diese gemeinsame Grundlage, d.h. den Maßstab für die Bestimmung der jeweiligen Wertgeltung nicht, so wären Werte inkommensurabel.“ (Oakes: Grenzen, S. 132) 

 Abgesehen davon, dass der Gedanke eines Auswahlprinzips  zu einem regressus ad infinitum  (siehe vorhergehendes Kapital) führt, der nicht zu leisten ist, kann auch von der vorausgesetzten Kommensurabilität der Werte keine Rede sein. Spitzt man diese Problematik auf den Unterschied von theoretischen Werten wie z.B. „Wahrheit“ und atheoretischen Werten wie z.B. „Schönheit“ zu, dann gibt es zwischen diesen Wertsphären keine Gemeinsamkeit, also auch kein gemeinsames Selektionsprinzip für die Rangfolge in einem System, also auch kein System der Werte. Rickert spricht davon, dass eine „wesentliche Verschiedenheit der wissenschaftlichen systematischen und der außerwissenschaftlichen unsystematischen Weltauffassung“ besteht. Zur letzteren gehören die „atheoretischen Gebilde“ wie Moral, Ästhetik und Religion (Rickert: System, S. 12). Zwar wird von Rickert die transzendentale Begründung (d.h. bloß formale) auf beide Arten angewandt, aber dies ist eine Erschleichung. Könnte man der Begründung des theoretischen Wertes „Wahrheit“ noch eine gewisse Rationalität zubilligen, insofern er sich als Bedingung der Möglichkeit von theoretischen Wissenschaften wie den Naturwissenschaften erweist, die vorgefunden werden (mit Kant gegen Rickert), so werden bei ästhetischen Werten und den Kulturwerten überhaupt diese Werte schon bei der Konstituierung der Gegenstände vorausgesetzt, so dass ihre Bestimmung  als Bedingung der Möglichkeit der Kulturgegenstände reine Tautologie wäre. Ein inhaltliches Selektionsprinzip für die Werte gibt es jedenfalls nicht. Dies wird von Rickert ausdrücklich anerkannt.

 „Wir leben nicht nur als im unphilosophischen Sinne ‚praktische’, sondern auch als sittliche oder als künstlerische oder als religiöse Menschen, und von jedem dieser ‚Standpunkte’ aus wird etwas anderes in der Welt für uns wichtig. Auf Grund solcher Interessen formen wir daher die Wirklichkeit ebenfalls um, indem wir eine unübersehbare Fülle der Lebensinhalte als unwesentlich bei Seite lassen, und wir sind dann, wenigstens so lange wir theoretisch nicht auf das achten, was hier vorgeht, wieder geneigt, die Ergebnisse der von uns vollzogenen Gliederung und Ordnung für die wirkliche Welt zu halten.“  (Rickert: System, S. 8 f.)  Diese anderen Welten, die durch atheoretische Werte konstituiert werden, sind „vom wissenschaftlichen Standpunkt aus willkürlich“ (a.a.O., S. 9). Eine andere Formulierung für die Inkommensurabilität der Werte gebraucht Rickert in einem begleitenden Aufsatz zu seinem System 1. Teil: „Man muß vielmehr einsehen, daß es Güter und Werte gibt, die in die üblichen philosophischen Schemata nicht passen.“ (Aufsätze, S. 92)  Und ganz klar spricht er die Inkommensurabilität der Werte an anderer Stelle seines „Systems“ aus: „Werten ist unwissenschaftlich, sagt man. Das trifft für atheoretisches Werten gewiß zu. Aber die Werte selbst, und zwar sowohl die theoretischen wie die atheoretischen, können doch zum Gegenstand einer wissenschaftlichen Untersuchung gemacht werden“ (Rickert: System, S. 118 Anm.).

Da für Rickert Philosophie als Wertwissenschaft besteht, die wesentlich formal ist als Erkenntnistheorie und Methodenlehre, ist sein Denken überhaupt nicht in der Lage, sich auf den wirklichen Gegenstand, die herrschaftlich verfasste Geschichte und Kultur, tiefer einzulassen. (Dass man aus der Geschichte Erfahrungen gewinnen kann, die auch allgemeine Zwecke zu schlussfolgern erlauben, ist wohl möglich. Dies setzt aber neben der Geltung der Logik und des vernunftbestimmten Sittengesetzes auch einen Menschheitsstandpunkt voraus, der nicht durch die Scheuklappen des ideologischen Denkens blockiert ist.)

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 Sind theoretische Werte und atheoretische Werte grundsätzlich verschieden, gibt es kein gemeinsames Auswahlprinzip. Die beiden Wertsphären müssen als inkommensurable bestimmt werden – dadurch ist auch ein System der Werte unmöglich. Die Konsequenz aus diesem Aspekt der Rickertschen Werttheorie hat Oakes formuliert: „Weil es aber keinen gemeinsamen Maßstab gibt, vermittels dessen sich die Geltung von beiden, theoretischen und atheoretischen Werten, bestimmen läßt, können sich alle diejenigen, deren Weltbilder auf ethischen, ästhetischen oder religiösen Werten fußen, dem universalistischen Anspruch aus wissenschaftlicher Systematik widersetzen – und zwar nicht aus wissenschaftlichen Gründen, vielmehr weil dieser Anspruch sich von ihrem Standpunkt her als unmoralisch, ästhetisch abstoßend oder religiösen Geboten zuwiderlaufend erweist. Daran zeigt sich, daß die praktische Stellungnahme zugunsten der Wissenschaft auf Werte abzielt, die keinerlei moralische, ästhetische oder religiöse Geltung besitzen.“ (Oakes: Grenzen, S. 133)

 Eine Liebeskommune schöner Seelen hätte danach die gleiche Berechtigung zu existieren wie ein faschistischer Staat, eine liberale Demokratie den gleichen Rang wie eine Theokratie mit fanatisierten Massen, eine Gelehrtenrepublik aus rational denkenden Wissenschaftlern wäre gleich unmittelbar zum Wertehimmel wie eine Horde Jäger und Sammler aus der Steinzeit. Mit anderen Worten: Die ganze Wertphilosophie Rickerts, welche die Mannigfaltigkeit der Werte „auf ein Zentrum“ beziehen will, „das alles zusammenhält“ (Rickert: Aufsätze, S. 77), führt sich durch die Inkommensurabilität der Werte ad absurdum. An diesem irrationalen Standpunkt der Wertphilosophie angekommen, bleibt auch Rickert wie seinem Lehrer Windelband nur noch der Verweis auf den Glauben an einen Allerhöchsten: „Die Beziehung zur Gottheit als der voll-endlichen Total-Persönlichkeit befreit das endliche Dasein der Subjekte zwar von Unvollkommenheiten, kann es aber nicht etwa mystisch vernichten. Im Gegenteil, durch persönliche Anteilnahme am persönlichen Transzendenten und Ewigen, das wir lieben und von dem wir uns geliebt glauben dürfen, haben wir unser persönliches Leben in seiner individuellen Fülle zu erhöhen. So allein kommt die pluralistische Tendenz zum Abschluß.“ (Rickert: Aufsätze, S. 98)  Daß die unbegründbare Gottheit nicht nur die „pluralistische Tendenz“ seiner Wertphilosophie ausbügelt, sondern auch dem Sinnlosen einen Sinn verleihen soll, wird ausdrücklich formuliert: „Diese Religion stützt und befestigt das Leben in Gegenwart und Zukunft, indem sie ihm einen Wert gibt, den es aus eigener partikularer Kraft nicht aufzubringen vermag.“ (A.a.O., S. 98 f.)

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Stand: 24. Juli 2006